Ich heiße
Paulina und verbringe das Schuljahr 2013/14 mit AFS in Hong Kong.
Meine
Freunde und Familie waren erstaunt, dass ich nach Hong Kong gehen wollte und
haben gefragt: ,,Wieso denn nach China?´´. Doch zuallererst muss man
klarstellen: Hong Kong ist nicht gleich China. Hong Kong ist eine Sonderverwaltungszone im Süden Chinas. Das
bedeutet, es gehört offiziell zu China, es gibt aber eigene Gesetze und eine
andere Regierung. Außerdem ist Hong Kong eine freie Demokratie, in der jeder
das Recht auf freie Meinungsäußerung hat. Ein weiteres, großer Vorurteil ist,
dass in Hong Kong Mandarin, auch als Hochchinesisch bekannt, gesprochen wird.
Jedoch wird hauptsächlich Kantonesisch gesprochen. Diese beiden Sprachen
unterscheiden sich voneinander, besonders in der Schreibweise und in den
verschiedenen Tonlagen. So können sich die Leute aus Nordchina und Hong Kong
nicht mit derselben Sprache verständigen, auch
wenn Kantonesisch oft nur als Dialekt von der Chinesischen Sprache bezeichnet
wird. Dadurch, dass Hong Kong bis 1997 eine englische Kolonie war, ist English,
neben Kantonesisch und Hochchinesisch, eine Amtssprache. Viele Schulen werden
komplett auf Englisch unterrichtet und auch sonst können sehr viele Leute
English.
Ich lebe mit meinen Gasteltern Leo
und Florence, meiner jüngeren Gastschwester Venus, meinem älteren Gastbruder
Felix unserem Dienstmädchen Yeni und fünf Katzen in einem Haus in den New
Territories. Eigentlich ist es durch den extremen Platzmangel an Wohnflächen
und die hohen Mietpreise sehr ungewöhnlich in Hong Kong in einem Haus zu leben.
Am Anfang war ich sogar ein wenig enttäuscht, nicht direkt in Zentrum von Hong
Kong zu wohnen. Doch mittlerweile bin ich sogar froh darüber, denn die Luft in
den New Territories ist deutlich besser als in Central.
Mit meiner Gastfamilie kam ich
von Anfang an super klar. Ich wurde vom ersten Tag an wie ein eigenes Kind
behandelt und mir wurde ein Chinesischer Name gegeben. Nach dem zweiten Tag
wurde ich dann nur noch Ling Ling genannt, auch wenn es ca. eine Woche gedauert
hat, bis ich wirklich auf den Namen reagiert habe. Meine Gastfamilie kann gut
Englisch sprechen, außer mein Gastvater und unsere Maid. Das war, besonders am
Anfang, ein großes Problem. Ich sprach kaum mit ihm, denn es war mir peinlich
auf nonverbale Kommunikation zurück zu greifen. Stattdessen redete ich viel mit
meinen neuen Geschwistern und meiner Gastmutter. Doch nach einiger Zeit wurde
ich vertraut mit der neuen Situation und versuchte mein neu erlerntes
Kantonesisch mit ihm zu üben. Mittlerweile kann ich einfachen Konversationen folgen
und muss feststellen, dass mein Gastvater sehr lustig ist.
Doch die
größte Umstellung für mich in der Familie war eine Maid zu haben. Ich war es in
Deutschland gewohnt meinen Teller selber wegzuräumen, war dort verantwortlich
für mein Zimmer und musste auch sonst im Haushalt mithelfen. Als ich am ersten
Abend nach dem Essen meinen Teller in die Küche bringen wollte, wurde mir
gesagt, dass ich nichts machen muss. Das wäre der Zuständigkeitsbereich von
unserer Maid. Selbst nach 4 Monaten habe ich mich noch nicht daran gewöhnt,
dass es nicht erwünscht ist im Haushalt mitzuhelfen.
Auch das wir fünf Katzen haben, ist nicht immer einfach. Aber ich habe
mich hier gut eingelebt und mag meine Gastfamilie sehr.
In dem ersten Monat habe ich mir das Zimmer mit meiner Gastschwester
und unserer Maid geteilt, was sehr gewöhnungsbedürftig für mich war, denn in
Deutschland hatte ich mein eigenes Zimmer. Jedoch haben wir uns dadurch sehr
schnell angefreundet. Als mein Gastbruder Ende Oktober nach Australien ging, um
zu studieren, bin ich in sein Zimmer umgezogen. Dadurch hatte ich ein wenig
mehr Privatsphäre, was man in Hong Kong durch die kleinen Wohnungen nicht immer
hat. Neben meiner eigentlichen Gastfamilie unternehmen wir auch sehr viel mit
unseren Verwandten. Regelmäßig treffen wir uns mit den zwei Brüdern meiner
Gastmutter und deren Familien zum Dinner. Somit kann ich noch besser in die
Kultur eintauchen und das Familienleben in Hong Kong verstehen.
Ich besuche das Christian
Alliance S. C. Chan Memorial Collage in Tuen Mun. Jeden Morgen mache ich mich
ca. 20 Minuten auf den Weg zur Schule, die komplett auf Englisch unterrichtet
wird. Am Anfang war es sehr ungewohnt eine Schuluniform zu tragen, doch mit der
Zeit habe ich mich daran gewöhnt und finde es mittlerweile richtig gut. Auch
sonst unterscheidet sich die Schule in Hong Kong sehr von der Schule in
Deutschland. Mein Tag beginnt um 8.15 und endet um 15.35. Jeden Morgen muss man
sich mit seinem Schülerausweis in dem Computer registrieren und nach dem Schulbeginn
wird die Schule verschlossen und keiner kann raus oder auch rein gehen.
An meinem ersten Schultag war
ich sehr aufgeregt und nervös. In Deutschland wurde mir erzählt, dass die
Schüler in Hong Kong sehr schüchtern und zurückhaltend sind. Das kann ich nicht
bestätigen. Als ich meinen Klassenraum, der sich in dem 5ten Stock befindet,
betreten habe, wurde ich freudig empfangen, umarmt und jeder wollte mit mir
reden. Dadurch fiel es mir leichter auf Leute zuzugehen und Freundschaften zu
knüpfen. Der einzige Unterschied zu Deutschland ist die Beziehung zwischen
Jungen und Mädchen in der Schule und auch außerhalb. Die meisten Jungen in Hong
Kong sind sehr schüchtern und zurückhaltend im Bezug auf Mädchen, daher ist
eine engere Freudschaft kaum möglich. Lieber bleiben die Jungen unter sich.
Dies war sehr komisch für mich, da ich normalen Kontakt mit Schulfreunden gewohnt
war. Mittlerweile ist dies zur Normalität geworden und mich stört es nicht mehr,
wenn eine Frage, die ich an einen Schulkameraden gerichtet habe, einfach
ignoriert wird.
Genau das
ist auch etwas, was Lehrer gerne tun: Fragen ignorieren. Denn der Unterricht in
Hong Kong ist sehr frontal. Der Lehrer steht vorne mit einer Power Point
Präsentation, die Schüler hören zu, machen Notizen und wenn dann mal eine Frage
gestellt wird, ist es normal, dass die Antwort rein gerufen wird. Dies war die
größte Umstellung für mich, was die Schule betrifft. Am Anfang war der
Unterricht richtig spannend. Es war interessant ein neues Schulsystem kennen zu
lernen, aber auch eine kleine Herausforderung, da der ganze Unterrichtsstoff
auf Englisch unterrichtet wird. Doch nach den ersten Wochen spürte ich schon
den Leistungsdruck unter dem die Schüler stehen. Es wurden jede Woche kleine
Prüfungen geschrieben, darüber hinaus hatten wir auch noch richtige Tests und
eine Menge Hausaufgaben. Auch die Art und Weise des Lernens in Hong Kong ist
anders. Die Devise in der Schule ist so schnell und so viel wie möglich zu schaffen.
So kam es, dass wir nach dem ersten Halbjahr das Mathematikbuch schon durch hatten,
genau wie zwei Biologiebücher und das Geschichtsbuch. Ich
muss zwar nicht alle Hausaufgaben abgeben und die Lehrer verstehen auch, wenn
ich etwas nicht verstanden habe, allerdings habe ich mich an den Druck gewöhnt
und gebe immer mein bestes. Durch diese neue Erfahrung habe ich gelernt meine
Zeit besser einzuteilen und konzentrierter zu arbeiten, was mir in Deutschland
teilweise schwer fiel.
Das erste Schulhalbjahr ist vorbei und bald habe ich auch die Hälfte
meines Auslandsjahres erreicht. Ich hatte bis jetzt eine wunderbare Zeit mit
Höhen und Tiefen. Ich kann noch gar nicht glauben, wie schnell dieses halbe
Jahr vergangen ist. Ich habe hier so viel für mich persönlich gelernt, dass es
mir schwer fällt es in Worte zu packen. Ich bin in eine neue Kultur
eingetaucht, die mir völlig fremd war und sie verstehen und lieben gelernt. Ich
bin selbständiger geworden und habe gelernt Dinge
selber in die Hand zu nehmen. Auch bin ich
sehr viel selbstbewusster geworden. Ich musste mich alleine zurechtfinden, habe
Sprachbarrieren überwunden und fand neue Freunde. Ich habe Essen probiert,
welches ich sonst nie essen würde. Ich
hatte bis jetzt die aufregendste Zeit meines ganzen Lebens und jeder Tag ist
eine kleine Herausforderung mit der ich wachse und stärker werde. Es fällt
schwer zu sagen, wie das Austauschjahr einen bis jetzt verändert hat, man muss
es selber Erlebt haben um es zu verstehen. Ich bereue es überhaupt nicht nach
Hong Kong gegangen zu sein, selbst wenn es nicht immer einfach war. Ich kann
dieses Land jedem empfehlen, der Lust auf eine komplette 180° Wendung in seinem
Leben und Alltag haben möchte und der sich komplett auf eine neue Kultur
einlassen kann.
Bevor ich in das
Flugzeug gestiegen bin, habe ich mir keine großen Gedanken darüber gemacht, was
es heißt, 10 Monate in einem fremden Land, in einer noch unbekannten Familie zu
leben und die Sprache, die gesprochen wird nicht zu kennen. Doch ich bin mit
der Zeit persönlich gewachsen, habe viele neue Dinge gelernt, neue Freunde
gefunden und das wichtigste, eine neue Heimat mit einer Familie die ich liebe,
wie meine eigene. Ich danke meiner Familie, Verwandten und vor allem der Stiftung Mercator, dass sie mir diese Erfahrung ermöglicht haben!